Niagara Daredevils: Warum sich Menschen die Niagarafälle hinabstürzten (2024)

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Einundzwanzig. Zweiundzwanzig. Dreiundzwanzig. Schluss! Nur dreieinhalb Sekunden dauert es, bis Dave Munday mit seiner selbst gebauten Stahltonne auf dem Niagara River aufschlägt. Was passiert, nachdem er die 57 Meter hohen Horseshoe Falls hinabgestürzt ist, weiß er nicht so genau. Der Kfz-Mechaniker prallt am Morgen des 5. Oktober 1985 mit solcher Wucht auf, dass er kurz das Bewusstsein verliert.

90 Minuten später wird Munday aus seiner 450-Kilo-Tonne geborgen, schon ein ganzes Stück entfernt von den tosenden Wassermassen. Bis auf kleinere Abschürfungen ist er unversehrt. Und überglücklich. "Es ist ganz einfach: Entweder du packst es oder du stirbst", sagt der heute 79-Jährige und lacht.

Schon viele Menschen haben die Naturgewalten der weltberühmten Niagarafälle herausgefordert. Doch so hartnäckig, so verrückt war bislang kein "Niagara Daredevil": Gleich fünfmal versuchte Munday den tollkühnen Ritt in der Tonne. Dreimal erwischte ihn die Polizei und vereitelte den verbotenen, da lebensgefährlichen Stunt. Zweimal jedoch, 1985 und 1993, bezwang der Kanadier die hufeisenförmigen Horseshoe Falls. Obwohl er nicht mal schwimmen kann.

Niagara Daredevils: Warum sich Menschen die Niagarafälle hinabstürzten (1)

Fotostrecke

Niagara Daredevils: Höllenritt im Eichenkoloss

Foto:

Niagara Falls (Ontario) Public Library

"Sobald ich den Kopf unter Wasser habe, überfällt mich eine grässliche Panik, es geht einfach nicht", so Munday. Umso wichtiger, dass seine Gefährte hielten. Die Angst zu ertrinken, sagt er, sei viel größer gewesen als die davor, sich sämtliche Knochen zu brechen. Munday kennt das Gefühl, sich aus lichten Höhen in die Tiefe zu stürzen: Als Fallschirmlehrer absolvierte er rund 1400 Sprünge.

Lebensmüde oder geltungssüchtig?

"Die Niagarafälle runterzubrausen, fühlt sich im Grunde genauso an, wie aus einem Flugzeug zu springen", sagt er. Der Wasserfall-Wahnsinn kostete ihn insgesamt 24.000 Dollar - bei jedem Versuch fiel die Geldbuße um ein paar Hundert Dollar üppiger aus.

Doch nichts konnte ihn stoppen: weder die Strafen noch die Angst ums eigene Leben, weder die beiden Töchter noch die Ehefrau. Warum nur? Wieso in aller Welt tut man sich das an? "Das ist mein Lebenstraum. Schon als kleiner Junge wusste ich, dass ich es eines Tages wagen würde", sagt Munday, geboren in Caistor Centre, 50 Kilometer von den Niagarafällen entfernt.

Dieser Tonnentrip über die Niagarafälle 1951 endete tödlich

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Den neunjährigen Dave nahmen seine Eltern mit zur Canadian National Exhibition nach Toronto. Bei der Messe traf er Major Lloyd Hill, einen berühmten "Daredevil", der viermal in einer Tonne die Whirlpool Rapids bezwang: extrem starke Stromschnellen stromabwärts der Niagarafälle. Hills Bruder starb 1951 beim Versuch, in einem Holzfass namens "Das Ding" die Horseshoe Falls hinunterzustürzen.

Munday war entschlossen, es ihm gleichzutun - aber zu überleben. Was bis dahin erst sechs Menschen gelungen war. Den Anfang machte eine US-Tanzlehrerin.

Wasserfälle überlebt, an Orangenschale gescheitert

Ob Annie Edson Taylor lebensmüde war oder primär nach Geltung gierte, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Am 24. Oktober 1901 - ihr 63. Geburtstag - kletterte die matronenhafte Dame in ein 1,40 Meter hohes Eichenfass, genannt "Königin des Nebels". Taylor drückte ihr herzförmiges Kissen an sich, nahm Platz in der gepolsterten, mit einem Amboss beschwerten Holztonne - und ließ sich um 16.05 Uhr in die Fluten schubsen.

"Das darf niemand jemals wieder tun!", soll Taylor, gewandet in eine weiße Bluse und einen bodenlangen, schwarzen Rock, geächzt haben, als man sie nur leicht verletzt aus dem Fass befreite. Zumal ihr das Kunststück mehr Ärger als Ruhm einbrachte: Zweimal engagierte Taylor einen Manager, um das Abenteuer zu vermarkten - beide Male entschwand der Schuft mit dem Fass.

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Taylor hielt sich mit Hellseherei und Souvenirverkauf über Wasser, 1921 starb sie im Armenhaus. Obwohl die glücklose Pionierin ausdrücklich vor der Fass-Fahrt gewarnt hatte, löste sie einen Hype aus. Für den Stunt eignen sich von den drei gigantischen Felsklippen am Niagara River nur die spektakulären Horseshoe Falls, da dort die wenigsten Felsbrocken lauern.

Genau zehn Jahre nach Taylor sauste der englische Zirkusartist Bobby Leach in einer zigarrenförmigen Stahltrommel die Fälle hinab. Er trug mehr als nur leichte Schrammen davon - Kiefer gebrochen, beide Kniescheiben zertrümmert, sechs Monate Krankenhaus. Danach sonnte Leach sich in seinem Ruhm. Bis er der Legende nach auf einer Orangenschale ausrutschte und an den Folgen einer Beinamputation starb.

Schildkröte überlebt, Herrchen erstickt

Andere "Daredevils" starben noch während des Stunts. So brach das Fass des britischen Barbiers Charles Stephens 1920 beim Aufprall auseinander. Als man die Trümmer entdeckte, hing laut Überlieferung nur noch der tätowierte rechte Arm im Fass.

Der Koch George Stathakis wiederum überlebte 1930 zwar den Sturz, erstickte jedoch am Fuß der Fälle: Die Tonne steckte 22 Stunden lang hinter der Wasserwand fest, die Sauerstoffreserven reichten nicht. Seine angeblich 105 Jahre alte Schildkröte "Sonny Boy" indes, auch mit an Bord, soll quicklebendig geborgen worden sein.

Mythos oder Wahrheit? Das ist nicht in jedem Fall klar. Dave Munday jedenfalls konnte nichts abschrecken: "Der Wunsch, die Fälle zu bezwingen, war immer da", sagt er. "Doch erst gründete ich eine Familie und zog die Kinder groß."

Babyfoto als Glücksbringer

Als seine Zwillingstöchter 20 Jahre alt waren, war Munday 48 und machte Ernst. Eingeweiht waren nur ein paar Kollegen, die ihm halfen, das Fass zu bauen und zu transportieren. "To challenge Niagara. Dave Munday. July 1985" stand auf der silberfarbenen Tonne, die am 28. Juli 1985 gegen 13 Uhr ins Wasser glitt.

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Mundays Fehler: Er startete zu weit oben, gut drei Kilometer von der Wasserfall-Kante entfernt. Die Polizei entdeckte das Fass, ließ den Elektrizitätskonzern Ontario Hydro das Wasserniveau drosseln - und fischte Munday aus den Fluten. Beim nächsten Versuch war er schlauer und ließ sich nur 137 Meter von der Kante entfernt ins Wasser schieben.

Als das Fass die Horseshoe Falls hinabpurzelte, galt "mein letzter Gedanke meinem neugeborenen Enkel. Ich hatte ein Foto des kleinen Jungen mit in der Tonne", erzählt Munday. Er kam nahezu unbeschadet unten an.

Daheim nahm seine schockierte Frau ihm das Versprechen ab, nie, nie, nie wieder so einen Blödsinn zu veranstalten. Und doch tat Munday es erneut - um seine Ehre zu retten: Neider, sagt er, hätten bemängelt, es sei keine Kunst, in einem 16.000-Dollar-High-Tech-Fass mit dickem Styropor-Puffer und Sauerstoffgerät zu überleben.

Als Munday am 27. September 1993 abermals den Wasserfall hinuntersauste, saß er in einer "simplen, nur leicht umgebauten" Taucherglocke, die er der kanadischen Küstenwache abgekauft hatte. So meisterte Munday als erster Mensch den Sturz gleich zweimal - und er würde es wieder tun. "Wenn mein Körper mich nur ließe", sagt der Pensionär. Seinen Adrenalinkick holt er sich heute lieber bei einer Bowling-Partie: "Mein Leben war doch aufregend genug."

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